Das ist so ein Gefühl, das ich öfter mal habe.
Ich mag an etwas teilnehmen, ob nun ein Kneipenbesuch, ein Kurs oder eine Vereinssitzung, und dann kommt es, plötzlich, dieses Gefühl, das sich in dem Satz manifestiert:
Ich glaub, ich geh nicht hin.
Oft gehe ich dann trotzdem hin. Und mitunter wird es dann auch gut, auch wenn es mich oft schafft und ich daheim dann reichlich im Sack bin.
Diesmal aber …
Ich glaub, ich geh nicht hin.
Diesmal so wirklich nicht.
Aber mal von vorne.
Kürzlich las ich auf Twitter von einer Veranstaltung zum Thema Inklusion. Vielmehr las ich die Frage eines anderen Autisten, wer denn noch so dorthin geht.
Und dann habe ich das gegoogelt, was das sein mag, und fand diese Website:
openTransfer CAMP 2015
Ich klickte ein bisschen hin und her, verstand nicht so recht, was genau das für eine Veranstaltung wohl sein könnte, suchte mich durchs Web, ob man da überhaupt parken kann, fand alles einfach nur unübersichtlich, dachte mir aber dennoch: Hey, Inklusion, Veranstaltung, andere Autisten dort treffen, kostenlos. Könnte gut sein, egal was es nun genau ist.
Es kann nicht schaden, dort autistische Sicht einzubringen, die ja oft noch völlig fehlt im Bereich der Themen Barrierefreiheit und Inklusion.
Also erklickte ich mir ein Ticket, lud mir die App, um es auf meinem Handy zu haben, und war der Ansicht, es mir nur mal anzuschauen, könne ja nicht schaden.
Barrierefreiheit, großes Thema dort anscheinend, das wird schon was sein.
Auch wenn ich da schon vermutete, dass der Begriff Barrierefreiheit sich, wie fast immer, vorwiegend auf Gehbehinderte, Sehbehinderte und Hörbehinderte bezieht, da Barrierefreiheit für Autisten irgendwie noch nirgends so richtig angekommen ist.
Aber hey, Inklusion und so, einfach mal gucken, nur angucken, was da so abgeht auf so einer Veranstaltung.
Heute dann setzte es ein. Das Gefühl.
Ich glaub, ich geh nicht hin.
Es setzte ein direkt nach dem Erhalt der E-Mail zur Veranstaltung.
Zunächst erfreuten mich Infos über Anfahrt und Parkplätze, die ich auf der Website schon vermisst hatte.
Doch dann …
Ich glaub, ich geh nicht hin.
Stärkung am Morgen und ein Mittagessen. Bei meinem autistischen Geschmackssinn falle ich da wieder gleich auf.
Ich glaub, ich geh nicht hin.
Und dann.
Die Barcamp-Regeln.
Vielleicht ist es einfach nur mein Fehler gewesen, vorab einfach nicht zu wissen, was Barcamp bedeutet.
Da stehen sie, die Barcamp-Regeln. Direkt über einem Abschnitt über Barrierefreiheit, in dem so schön über den barrierefreien Zugang zu den Räumen, Gebärdensprachübersetzern etc. berichtet wird, stehen diese für mich als Autisten das Gegenteil von Barrierefreiheit bedeutenden Barcamp-Regeln.
Ich glaub, ich geh nicht hin.
· Keine Zuschauer. Es gibt nur Teilnehmer.
· Zurücklehnen und Zuhören gibt es nicht – es geht um Diskussion und Austausch.
Ich glaub, ich geh nicht hin.
· Geplant ungeplant. Die Tagesordnung entsteht erst am Konferenztag selbst während der Sessionplanung.
Ich glaub, ich geh nicht hin.
Schlagworte wie „Flexibilität“, „Mitmachen“ und „keine Scheu“ schwirren durch diese Regeln.
Ich glaub, ich geh nicht hin.
Nein. Das ist nichts für mich.
09:45-10:30 Begrüßung & Vorstellungsrunde
Nein, nein. Wenn die da einen in Mutismus verfallenden Autisten sehen wollen, müssen sie eine Vorstellungsrunde machen. Nein.
Ich glaub, ich geh nicht hin.
Da ist also eine Veranstaltung. Sie soll wohl barrierefrei sein. Sie hat das Thema Inklusion.
Und ich fühle mich schon vorher exkludiert durch für mich hohe Barrieren.
Und ich glaub, ich geh da einfach nicht hin.
Es geht mir hier mitnichten darum, diese spezielle Veranstaltung irgendwie schlechtzumachen. Das liegt mir fern. Im Gegenteil begrüße ich jede Veranstaltung, die sich für Inklusion einsetzt, bezogen auf alle Behinderungen. Eine gute Sache!
Nur ist es eben leider so, dass Autismus auch bei diesen Veranstaltungen noch nicht wirklich angekommen ist. Auch da sind Autisten oft noch der totale Außenseiter.
Diese Veranstaltung dient hier also nur als Beispiel für das, was noch fast überall schiefläuft bezüglich Autismus.
Hast Du mal daran gedacht, den Veranstaltern einen Link zu Deinem Text zu schicken? Damit sie ihren Begriff von Inklusion dementsprechend ändern können. Selbst wenn nicht für diesmal, dann doch fürs nächste Mal.
Das kriegen die mit. Über Twitter. Sie folgen mir dort.
Deinem Text ist nichts hinzu zu fügen. Bei solchen Vorgaben bin ich raus bevor ich überhaupt drin war. Zu viel no go.
Und was, wenn sich jemand fände, der dir assistiert, der nach deinen Regeln für dich agiert, soweit das eben möglich ist? Und was, wenn mehrere Autisten und Assistenzen sich dazu fänden?
Ich weiß, das ist ein gewagtes Experiment und vermutlich noch unrealistisch, da wir uns fremd sind. Seit aber klar ist wie sehr der Zustand des ‚andere erklären Autismus bei Inklusionsveranstaltungen und sogar auf sogenannten Autismustagungen, ohne die aktive Anwesenheit von Autisten‘ nervt und verändert werden muss, frage ich mich, wann und wie das funktionieren könnte, gemeinsam das Thema zu beackern.
Eins werde ich also auf jeden Fall tun, wenn ich es schaffe in Dortmund dabei zu sein. Nämlich genau darauf hinweisen, dass ich verstehen will und muss und dass, wer Inklusion wirklich stützen will, wissen soll und muss, was ‚Barrierefreiheit‘ für Menschen mit Autismus / AD(H)S überhaupt bedeutet.
Denn ohne Begegnung (wie auch immer) kein Verstehen (was auch immer). Und die Experten seid nunmal ihr. Also müssen wir vermutlich einen Schritt zurück und so vielen echten Experten wie möglich die Teilnahme ermöglichen. Und sei es, dass es Veranstaltungen dazu geben muss, wie Veranstaltungen funktionieren können.
Oder?
Gruß
Splitterraum
Hallo,
ich kenne die Veranstaltung, die Veranstalter und war auch schon öfters da. Durch meine Arbeit bei den Sozialhelden und Leidmedien.de befasse ich mich schon einige Zeit mit dem Thema „Inklusion“ und ich finde die hier angesprochenen Punkte sehr interessant. Die Veranstalter werden das bestimmt auch lesen und darauf eingehen.
Aus meiner Sicht möchte ich aber dazu motivieren doch zu dem OpenTransfer CAMP zu kommen und es sich anzuschauen und zu beteiligen. Denn nur dann kann ein Dialog entstehen, der sehr wichtig ist. In dieser ganzen Inklusions-Debatte wird meiner Meinung nach oft vergessen, dass es sehr schwer ist für jeden Menschen über jeden anderen Menschen genau zu wissen, was seine Bedürfnisse sind und diese dann auch zu berücksichtigen. Wir sollten daher zum Wohle einer barrierearmeren Welt lernen miteinander zu kommunizieren und an Lösungen zu arbeiten, anstatt gleich zu sagen: wenn das oder das nicht so ist, dann komme ich nicht.
Denn auch die einzelnen Sätze aus der Einladung muss man nicht als absolut sehen. Wie bei jedem Barcamp ist es für jeden und jeder Teilnehmer/in die freie Entscheidung woran man sich beteiligen möchte und woran nicht. Wenn du an einer Vorstellungsrunde nicht teilnehmen möchtest, dann musst du das auch nicht. Wenn du keine Session anbieten möchtest, sondern einfach nur zuhören willst, dann kannst du das gerne machen. Deswegen ist meiner Meinung nach das Barcamp-Prinzip besonders für ein inklusives Miteinander gut geeignet. Ich würde mich also freuen, wenn du vorbeikommst und deine Anmerkungen vor Ort einbringst.
Beste Grüße, andi
P.S. Dies ist meine private Meinung und spiegelt nicht die Einstellung der Sozialhelden oder der Veranstalter wieder.
Vielen Dank für deinen Kommentar.
Die Veranstalter haben mich schon über Twitter kontaktiert und sehr positiv auf meinen Artikel reagiert, was ich ihnen sehr hoch anrechne.
„Denn auch die einzelnen Sätze aus der Einladung muss man nicht als absolut sehen.“
Es wird wohl an meinem Autismus liegen, genau das getan zu haben. Für mich steht da eben sehr klar und deutlich, dass man nicht nur zuschauen darf. Ob ich aber irgendetwas sagen kann, sehe ich erst in der Situation selbst. Der Druck, der sich bei mir durch die zitierten Punkte aufbaut, ist dabei so hoch, dass er mich eher zum Verstummen bringt.
Dazu dann die Schwierigkeiten, die ich mit vorgegebenem Essen und erst vor Ort entstehender Planung habe.
Das sind autistische Probleme.
Daher ist es kein evtl. trotzig wirkendes „wenn das oder das nicht so ist, dann komme ich nicht.“, sondern einfach ein Selbstschutz für mich, mich gewissen Situationen, die mir als Autist sehr schwer fallen, einfach nicht immer auszusetzen.
Nun weiß ich von dir und anderen, auch dem Veranstalter, inzwischen, dass ich mir zumindest um „Redezwang“ keine Gedanken machen sollte. Das ist erleichternd.
Insgesamt scheint mir das Konzept Barcamp an sich, über das ich zuvor nichts wusste, aber einfach nicht sehr gut zu mir zu passen.
Und da ich nur wenige Tage nach der Veranstaltung einen unausweichlichen belastenden anderen Termin habe, sage ich jetzt noch nicht fest zu, wenngleich mich das Thema weiterhin sehr interessiert. Ein Ticket habe ich, das habe ich auch noch nicht entsorgt. Ich werde noch darüber sinnieren.
Super. Ich danke dir für diese Erläuterung, weil das auch für mich ein Erfahrungsgewinn ist!
Beste Grüße, andi
Sehr gerne. Genau deshalb blogge ich ja, um anderen Menschen einen Einblick zu geben, so gut ich kann. :-)