Heute geht es weiter mit dem Projekt „Ein Tag in meinem Leben“ mit einem Tag von outerspace_girl, viel Spaß beim Lesen.
Meine Zeit ist zweigeteilt – es gibt Arbeitstage und freie Tage.
Beide sind fest strukturiert und übersichtlich. Ich konstruiere sie sorgfältig und überlegt aus Terminen, Ritualen und Aufgaben. Lauter kleine Aktionsbausteine, die ich zu einem hübschen Turm stapele. Bauklötzchentage. Dabei versuche ich, die vorhandene Zeit optimal zu nutzen, ohne aber einen Overload oder eine Überforderung zu riskieren.
Schön sind sie anzusehen, meine sorgfältig gestapelten Zeitabläufe, meine Alltagstürme, doch sie sind fragil. Eine Unebenheit im Baugrund, ein Windstoß, eine Erschütterung in Form von Stress, zu starken Sinnesreizen oder spontan auftretenden Problemen genügen schon und das, was stabil scheint, bricht in sich zusammen, wird Chaos und lässt mich verwirrt und hilflos zurück.
Wie schnell mein Tagesturm fällt, kommt auf meine aktuelle Verfassung an, auf die Energie, die ich zur Kompensation von Problemen zur Verfügung habe und auf die aktuelle Belastbarkeit, die nie normale Grenzen erreicht.
Für einen Arbeitstag, denn Arbeitstage sehen immer gleich aus, nehme ich zuerst einen braunen Frühstücksstein, braun wie der heiße, duftende Kaffee, mit dem ich jeden Tag beginne. Ein großer und stabiler Stein, der einen guten Untergrund bildet und zwingend notwendig ist. Darauf setze ich den Workout-Stein. Die morgendliche Sporteinheit, die je nach Art des Tages eine halbe oder eine ganze Stunde dauert, ist rot, rot wie pumpendes Blut und brennende Muskeln und wird von dem blauen Badezimmerstein beschwert. Dass ein ansprechendes Äußeres die so schwierige Kommunikation mit Menschen vereinfacht, habe ich tief verinnerlicht und so investiere ich gern Zeit in dessen Pflege.
Das Mittagsklötzchen, das darauf folgt, ist hingegen gelb, wie die Banane, die fester Teil des Schälchens voll Obst ist, das es jeden Mittag gibt und ich muss den Stein für die Arbeit darauf zu balancieren, der wild gemustert ist, denn man weiß nicht, was er bringen wird. Groß ist er aber in jedem Fall, schwer zu heben und kann alles zum Kippen bringen, wenn man nicht recht aufpasst.
Nach diesem Zug überlegt man, mit dem Bauwerk aufzuhören, doch der Abschluss fehlt. Der schwarze Stein, der den Abend bildet, Ruhe symbolisiert, Rückzug, das so dringend nötige Alleinsein. In der Zurückgezogenheit kann ich neue Kraft tanken, meine Batterien aufladen und erlebtes verarbeiten.
Freie Tage sind anders zu gestalten, hier darf auch einmal eine soziale Interaktion stattfinden, eine Veranstaltung, ein Treffen mit einem Freund oder ein Arzttermin, denn dafür bleibt sonst keine Kraft übrig. Doch sehr oft bleibt man an diesen Tagen doch allein.
So verlebe ich normale Tage, einen nach dem anderen, ungezählte Stunden, die einem neurotypischen Leben im Grunde gleichen, aber so viel mehr Planung, Voraussicht und Stabilität benötigen, um zu funktionieren, um mich in ihnen funktionieren zu lassen. Alles ist sehr gut durchdacht. Platz für Spontaneität gibt es nicht, Unvorhersehbares lässt sich nicht einbauen. Das ist nicht immer schön und manchmal fühlt man sich, als baut man sich sein eigenes Gefängnis, aber man hat keine Wahl, ohne diese festen Strukturen ist kein normaler Alltag möglich. Und je besser ich meiner Umwelt vermitteln kann, wie diese funktionieren, wie ich funktioniere und wo meine Grenzen liegen, desto versierter werde ich in meiner Alltagsarchitektur.
outerspace_girl ist selbst Bloggerin, die tiefsinnige Texte über ihr Leben und das Asperger-Syndrom schreibt, und twittert auch passioniert.
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Die Vorstellung, sich die Tage wie ein Mosaik mit Steinen zusammenzubauen, finde ich faszinierend. Und einleuchtend. Übrigens mache ich als NT das auch; jeden Tag. Vielleicht ist der Unterscheid zwischen uns, dass du den GANZEN Tag durchplanst, ich aber nur ca. 50%. Ich lasse zwischen den Steinen immer Platz, damit ich auch mal spontan einen anderen einschieben kann.
Spontan einen anderen Stein einschieben zu müssen, würde Stress, Anstrengung, Kompensierungsarbeit bedeutet. Unvorhergesehenes ist selten gut und sollte vermieden werden. Für mich als Autist bedeutet Gleichförmigkeit und Routine eine gewisse Entspannung und Sicherheit.