Kannst du überhaupt mitfühlen?

Ab und an werde ich gefragt, ob ich als Autist überhaupt mitfühlen kann mit anderen Menschen.

Dies beantworte ich mit einem klaren Jein.

Am besten unterteilt man Empathie erst mal in kognitive und emotionale Empathie, wie Paul Ekman es tut.

Nach Paul Ekman handelt es sich weder bei Empathie (Mitgefühl) noch bei Mitleid um Emotionen, sondern um Reaktionen auf die Emotion eines anderen Menschen.[8] Ferner unterscheidet Ekman zwischen kognitiver und emotionaler Empathie: “Kognitive Empathie lässt uns erkennen, was ein anderer fühlt. Emotionale Empathie lässt uns fühlen, was der andere fühlt, und das Mitleiden bringt uns dazu, dass wir dem anderen helfen wollen …“.[9]

Quelle: Wikipedia Empathie

Bei Autisten ist es nun meist so, dass die kognitive Empathie nicht (so gut) funktioniert. Also das Erkennen, was der andere fühlt. Mimik, Gestik, zwischen den Zeilen lesen, das fällt Autisten schwer. Und zumeist ist genau daran erkennbar, was ein anderer Mensch empfindet.
Solange ich nun nicht weiß (oder wenigstens ahne), was ein anderer Mensch fühlt, kann ich weder mitfühlen noch mitleiden. Obwohl bei Autisten die emotionale Empathie und das Mitleiden in der Regel nicht beeinträchtigt sind, fällt es also weg, solange der Autist ja nun mal gar nicht weiß, was überhaupt vom Gegenüber gefühlt wird.

Sobald ich es aber weiß, weil das Gegenüber zum Beispiel klar artikulierte, wie es ihm geht, oder weil ich Mimik und Gestik bewusst analysierte (was sehr anstrengend sein kann, daher bitte lieber einfach klar artikulieren, danke :-)), ist es möglich, mitzufühlen und auch mitzuleiden – sofern es sich um etwas handelt, was mich eben auch trifft. Das ist bei NA (Nicht-Autisten) ja auch so, dass sie nicht alles nachempfinden können.

Vor allem habe ich festgestellt, dass NA oft massive Schwierigkeiten haben, Autisten gegenüber mitzufühlen und mitzuleiden. Vieles aus der Gefühlswelt von Autisten scheint für NA genauso wenig nachvollziehbar zu sein wie umgekehrt.
Bei Autisten untereinander sind die Probleme dahingehend meiner Erfahrung nach wesentlich geringer. Ich denke, das hat mit einer möglichst ähnlichen Erfahrung und Wahrnehmung zu tun. Jeder Mensch kann nur mitfühlen und mitleiden, wo es ihm eben nahegeht. Und nah, nah sind jedem Menschen eben nur Dinge, die in seiner Erfahrung und seiner Wahrnehmung so oder ähnlich auch vorkommen.

Aus autistischer Sicht kann ich diese Frage also auch an die Nicht-Autisten zurückgeben:
Könnt ihr mit uns überhaupt mitfühlen?


7 Gedanken zu “Kannst du überhaupt mitfühlen?

  1. Liebe dasFotobus!

    Zuerst mochte ich Dir schreiben, dass Dein Beitrag kurz und klar verständlich ist. Das gefällt mir. Aus meiner Sicht kann er dazu beitragen, dass mehr NA / NT lernen zu verstehen, dass es darum geht, sich gegenseitig besser ‚Nachzuempfinden‘. Und dies deshalb, weil gegenseitiges Mitfühlen sicher dabei hilft, Missverständnisse, Verwirrung und Schmerz für beide Seiten zu vermeiden. Und genau dies wünsche ich mir so sehr und bin sicher nicht alleine mit diesem Wunsch.

    Meine Gedanken zu Deinem Text sind sehr lang. Bitte verzeihe mir das, aber kürzer ging irgendwie nicht.

    Was also bewegt und hindert uns NA \ NT dazu, mitfühlen / nachempfinden zu können?

    Wir NA sind zu oft darum bemüht, euer Empfinden heilen oder mildern zu wollen. Unser ‚Nachempfinden‘ endet sehr oft in dem Wunsch, Schmerz und Verwirrung zu vermeiden. Zu oft aber ist dies in Wirklichkeit unsere eigene (NA) Verwirrung, über bspw. nicht nachvollziehbare ‚Zwänge‘ und Ängste, die wir mildern. Denn Verwirrung überfordert schnell jeden von uns und das ist sehr unangenehm. Wir schützen dann dummerweise aber eher uns selbst und Schaden euch.

    Besonders als Eltern von Autisten, ist es eben auch zu oft der eigene Schmerz, den wir zu heilen Versuchen, weil wir nicht unterscheiden können, was wir selbst und was genau unsere Kinder als schmerzlich empfinden. Wir sind uns dann zu oft zu sicher, es könne nur durch Ausschalten der Schmerzquelle mittels der menschlichen ‚Vernunft‘ eine Milderung und Vermeidung von Schmerz geben. Aber eben genau diese ‚Vernunft‘ ist nur unsere eigene, NA-Vernunft. Und diese Vernunft ist in Wirklichkeit nicht brauchbar, weil sie gegenseitiges Verstehen und Mitfühlen verhindert. Sie ist vielleicht unser Schutzschild, das wir brauchen, um nicht an der Nicht-Nachvollziehbarkeit autistischen Empfindens zu verzweifeln. Das ist wie eine Zwickmühle, wie ein Dilemma.

    Um also Deine Frage zu beantworten, ‚können wir überhaupt mit euch mitfühlen?‘, also ein klares ‚Jein‘!

    Mir gelingt dieses Mitfühlen, so sehr ich es auch versuche, oft nicht. Zu oft schaffe ich es nur, nicht völlig falsch zu reagieren und mich einfach rauszuhalten, weil ich es in vielen Fehlversuchen gelernt habe, besser nichts zu tun, als mit meinen Hilfsversuchen noch mehr Probleme zu schaffen.

    Manchmal aber gelingt es mir, die Unbedingtheit des Empfindens meines Aspi-Kindes so mitzuerleben, dass ich genau spüre, dass es gerade keinen Ausweg gibt und ich auch nicht versuchen sollte, einen Ausweg zu finden. Ich spüre dann, dass es einfach reicht, seinen Schmerz stumm zu begleiten und auf den Augenblick zu warten, wo sein Schmerz nachlässt. Manchmal gelingt es dann, nur dazu da zu sein, durch den Schmerz zu begleiten, Halt statt Hinweise zu geben und offene Arme statt lauter laute Erklärungen. Und das tut dann beiden Seiten sehr gut. Das ist dann einfach schön.

    Mitfühlen ist also für uns NT / NA extrem anstrengend und vielleicht sogar oft unmöglich. Wir sollten daher eher nachfragen und lernen. Blogs wie Deinen und andere lesen, um mehr und mehr zu verstehen, statt ‚vermeindlich‘ mitzufühlen.

    Ich leite daher für mich eine Erkenntnis ab, wie es gelingen kann, das ‚Miteinander‘ zu verbessern: Mitfühlen üben, aber mehr Nachfragen, was ich tun oder lassen kann / soll. Begleiten lernen, statt unbedingt helfen zu müssen. Und diese Erkenntnisse allen mitteilen, die wie ich Fehlversuche zu vermeiden suchen!

    Gruß
    Splitterraum

  2. Ich wollte auch eine Frage stellen. Jacob wird in diesem Buch häufig als sehr empathielos beschrieben, als wäre er überhaupt nicht in der Lage, sich in Andere hinein zuversetzen. Ich nehme mich selbst durchaus als empathisch wahr und habe deshalb mit meinem Diagnosearzt gesprochen. Er erklärte mir, dass es eine alte Mär sei, dass Autisten keine Empathie empfinden würden. Das Einzige was ihnen schwerfällt, ist zu erkennen, was der Andere brauchen könnte, z. B. ein Taschentuch. Es stimmt aber nicht, dass Autisten nicht mitfühlen, wenn Jemand sich schlecht fühlt.Wie seht ihr das ?

    1. Ich kenne keinen Jacob und weiß nicht, von welchem Buch du schreibst. In meinem Artikel kommt kein Buch vor.

      Zu deiner Frage:
      Ich denke, genau das habe ich in meinem Artikel ausführlich erläutert.

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